30 Minuten Anrückzeit: Darf Ihr Arbeitgeber solche Vorgaben zur Rufbereitschaft machen?
Liebe Betriebsrätin, lieber Betriebsrat,
wieder mal Streit ums Arbeitszeugnis. Eine Leserin schrieb mir: „Darf eigentlich der „stellvertretende Vorgesetzte ein Arbeitszeugnis unterschreiben?“
Die Lösung ist scheinbar einfach: Es muss sich immer um eine Person handeln, die Ihrer Kollegin oder Ihrem Kollegen gegenüber weisungsbefugt ist (Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 26.6.2001, Az: 9 AZR 392/00).
Beispiel: Eine Sekretärin, darf ein Zeugnis bloß tippen und ausdrucken, unterzeichnen darf sie es aber nicht.
Der Personalleiter oder die Personalleiterin oder die oder der direkte Vorgesetzte sind ebenfalls berechtigt, ein Zeugnis zu unterschreiben (z. B. Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein, Urteil vom 23.6.2016, Az: 1 Ta 68/16).
Was den „stellvertretenden Vorgesetzten“ betrifft:
Es kommt darauf an. Ist der „richtige“ Vorgesetzte zum Zeitpunkt des Ausstellens für längere Zeit nicht im Betrieb und nimmt der Stellvertreter damit die Rolle des weisungsberechtigten Vorgesetzten ein, darf er das Zeugnis unterschreiben. Nur als Stellvertreter aber nicht. Das wäre hier noch zu klären.
Bleibt die Frage: Um was geht es im Tipp der Woche? Es dreht sich alles um ein aktuelles Urteil. Doch bitte, lesen Sie selbst.
Welche Betriebsvereinbarung Sie jetzt dringend prüfen müssen
Ein Arbeitgeber hatte mit seinem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über Rufbereitschaftsdienste abgeschlossen. Dann passierte es:
Für eine bestimmte Arbeitnehmergruppe wollte der Arbeitgeber eine maximale Anrückzeit von 30 Minuten festlegen. Der Betriebsrat war dagegen und forderte die Rücknahme dieser Regelung. Eine Einigung kam nicht zustande. Der Fall landete vor Gericht. Wo der Betriebsrat zunächst eine böse Überraschung erlebte:
Das Arbeitsgericht (ArbG) Brandenburg meinte, dass die inhaltliche Ausgestaltung der Rufbereitschaft nicht unter das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats fällt, da für den Arbeitgeber ein einschlägiger Tarifvertrag gelte. Außerdem entspräche die 30-Minuten-Frist den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).
Erfolg in zweiter Instanz Der Betriebsrat legte Beschwerde ein, was zur Änderung des ursprünglichen Urteils führte. Diese Entscheidung wollte der Betriebsrat so nicht stehen lassen – und ging in Berufung. Mit Erfolg: Das LAG Berlin-Brandenburg entschied zu seinen Gunsten. Der Arbeitgeber darf seine Beschäftigten nicht länger anweisen, innerhalb von 30 Minuten am Arbeitsplatz zu erscheinen. Diese Anweisung verstößt gegen die bestehende Betriebsvereinbarung. Dass die Betriebsvereinbarung hierbei auf einem Spruch der Einigungsstelle beruhte, spielt keine Rolle, wie das Gericht ebenfalls feststellte. Denn:
Einen früheren Antrag des Arbeitgebers, die Rechtsungültigkeit der Vereinbarkeit feststellen zu lassen, hatte ein Arbeitsgericht rechtkräftig abgelehnt. Damit galt und gilt die bestehende Vereinbarung ohne Wenn und Aber (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23.6.2023, Az: 12 TaBV 638/22).
Was ist Rufbereitschaft? Rufbereitschaft ist eine Form der Arbeit, die gar nicht als Arbeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) gilt. Denn während einer Rufbereitschaft kann sich Ihre Kollegin oder Ihr Kollege an einem selbst gewählten Ort außerhalb des Betriebs aufhalten. Betroffene sind allerdings verpflichtet, im Zweifelsfall sogar während eines bestimmten Zeitraums, nach einem entsprechenden Anruf am Arbeitsplatz zu erscheinen.
Was jetzt zu tun ist Kommt es in Ihrem Betrieb zu einer vergleichbaren Situation und möchten Sie ebenfalls von Ihrem Arbeitgeber Unterlassung fordern, prüfen Sie zunächst, ob Sie diese mit einer Regelung in einer Betriebsvereinbarung oder einem anwendbaren Tarifvertrag durchsetzen können. Falls ja, weisen Sie Ihren Arbeitgeber darauf hin, dass Sie Ihren Anspruch ggf. gerichtlich geltend machen werden, wenn er von seinem Verhalten nicht absieht. Oder anders ausgedrückt: Hauen Sie ruhig mal mit der Faust auf den Tisch!
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